Normalerweise ist das Fußballspiel zwischen den Abiturienten und einer Lehrermannschaft eine der Traditionen, die seit Jahrzehnten zum Kanon der Entlassungsaktivitäten zählen. Wohl auch deshalb, weil dann für die gerade-noch-Schüler die Möglichkeit, auch einmal etwas zum Jubeln zu haben und einen Triumph über die Pädagogenschar zu erlangen, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit beim Schopfe gepackt werden kann.  Aber was ist schon normal in diesem Jahr. Da ein kontaktloses, auf Abstand geführtes Fußballspiel zwar den Lehrern vielleicht mehr Gewinnchancen vergrößert, auf jeden Fall aber die Gefahr des totalen Untergangs verringert hätte, aber letztlich den Sinn dieser sportlichen Aktivität total verfehlt, musste eine Alternative her, die auch nach allen Regeln der Kunst, bzw. des Abstands coronakonform absolviert werden konnte.
Ergebnis der intensiven Überlegungen war schließlich ein Dreikampf bestehend aus „Sommerbiathlon“ – Tischtennis unter erschwerten Bedingungen – Torwandschießen.
Und es begann eigentlich wie immer. Nachdem Matthias Löw gestenreich die Lauf- und Wurfwege eingehend erklärt hatte, war schnell klar, dass die jungen Beine die darüber angebrachten Körper schneller über den Rasen tragen werden, als die der zwar willigen und erfahrenen, aber bald schwer atmenden Lehrer. Da nahezu alle die anvisierten Dosen meist mehrfach verfehlten, was zusätzliche Strafrunden und noch weitere Wege und noch mehr Sauerstoffnot zur Folge hatte, nutzte der ganze Einsatz und die Erfahrung nichts, die Abiturienten gingen nach zwei Durchgängen als Sieger durchs Ziel. Eigentlich war alles wie immer.

Aber weit gefehlt. Das Blatt wendete sich bei der zweiten Disziplin, dem Tischtennis. Ob man mit einem herkömmlichen Schläger, einem Buch oder dem eigenen Schuh als Schlaginstrument antreten musste, bestimmte ein Würfel. Aber egal was das Schicksal in die Hände spülte, nun kam es auf Technik, filigranes Spiel, Raffinesse, Entschlossenheit, Geduld und Ähnliche Fähigkeiten an und schon wurden die jungen Wilden mehr und mehr nervös. So mancher Pädagoge packte den einen oder anderen Trick aus seiner Jugend aus, trieb seinen jungen Kontrahenten mit gemeinem Unterschnitt oder Spin schier zur Verzweiflung und schon war der Gleichstand hergestellt.

Das Torwandschießen musste entscheiden. Manchen Gesichtern der Abiturienten war jetzt schon deutlich die Vorfreude auf den Sieg zu entnehmen, denn was konnte schon passieren, wenn es um die Behandlung des runden Leders ging. Der Sieg war scheinbar nur noch Formsache. Drei unten, drei oben, jeweils fünf Schützen. Schnell hieß es auch 1:0, denn Karl Wieser nahm Maß und der Ball zappelte rechts unten im Netz. Der Wettkampf schleppte sich fortan dahin, das Runde sträubte sich und wollte bei beiden Teams nicht so recht ins Runde und weil knapp daneben auch vorbei ist, schien es, dass der eine Treffer auch schon die Entscheidung bedeutete. Bis, ja bis Ann-Kathrin Bauer antrat. Souverän netzte sie ein und schaffte zur Erleichterung ihrer männlichen Kollegen den Gleichstand. Weil kein weiterer Treffer mehr fallen wollte, ging es schließlich ins Shootout. Mit jedem Fehlschuss stieg die Spannung schier ins Unermessliche, wähnten sich die Abiturienten doch lange Zeit schon als sicherer Sieger und außerdem hatten sie ja einige Fußballstars in ihren Reihen, aber was sie auch versuchten, ob mit Gewalt oder Gefühl, es wollte einfach nicht klappen. Bis nach gefühlten 50 Durchgängen Daniel Hofrichter tatsächlich unten rechts einnetzte. Die Jubelschreie hallten durch den Pausehof, die Luft brannte förmlich, alle warteten auf den finalen Fehlschuss des Lehrerteams, der den so heiß ersehnten Sieg bedeuten würden. Wer aus der Lehrermannschaft würde nun die gesamte Last der Verantwortung übernehmen? Eigentlich klar, der Schulleiter selbst musste ran. Der Abiturientenanhang machte sich schon bereit, die Jubelstürme zu entfachen, aber was sie nicht wussten: Der, der sich nun das runde Leder zurechtlegte, hatte seine Fußballkarriere eigentlich schon vor Jahren gezwungener Maßen beendet, war aber in seiner Jugend nicht nur mittelfränkischer Meister mit der Schulmannschaft, sondern kickte auch bis in der Kreisklasse im Verein. Unten rechts hätte den Gleichstand bedeutet, aber die Jubelschreie verhallten plötzlich, als die Umstehenden und Umsitzenden wahrnahmen: Der geht All In, seine Augen visieren doch tatsächlich das Ziel oben links an. Ein Treffer dort zählt doppelt, ein Treffer und die Niederlage für die Absolventen wäre perfekt. Wo eben noch Jubel und von Vorfreude getragene Gesänge die Luft erfüllten, herrschte plötzlich absolute Stille. „Ich halte das nervlich nicht mehr aus“, brachte einer die unerträgliche Spannung zum Ausdruck. Der Schütze zögerte noch etwas, konzentrierte sich auf diesen alles entscheidenden Schuss, nahm genau drei Schritte Anlauf, trat gefühlvoll gegen den Ball, der mit leichtem Effet in eine Flugbahn eintrat, die ihn zunächst scheinbar in die Mitte der Torwand führen sollte. Doch plötzlich führte ihn sein Weg immer mehr nach links, er näherte sich tatsächlich der offenen Rundung. Die Wahrscheinlichkeit, dass er auch durch diese hindurch ins Ziel fliegt, nahm mit jedem Flugzentimeter zu und tatsächlich, er zappelte schließlich im Netz. Ungläubiges Staunen provozierte einen Moment der absoluten Stille, bevor der Jubel, diesmal aber bei der Lehrermannschaft losbrach und die Freude über den Triumph kein Halten mehr kannte.

Der historische Sieg über die Abiturienten war vollbracht und vielleicht sollten Trainer und Management des Pädagogenteams im kommenden Jahr über Taktik und Mannschaftsaufstellung noch einmal neu nachdenken.