Kaum ein Ereignis in der deutschen Nachkriegsgeschichte ist so bedeutend und hat so viele Emotionen ausgelöst wie der „Mauerfall“ am 9. November 1989 in Berlin. Das ist nun 30 Jahre her. Die Hintergründe dieses historischen Ereignisses, ja dieses Wunders sind in den letzten Wochen nicht nur in den Medien präsent gewesen, sondern auch wir am A-E-G sind in den unterschiedlichsten Jahrgangsstufen und Fächern darauf eingegangen. So haben die Schüler durch Jugendbücher, Filmnachmittage, eine Exkursion nach Mödlareuth und in den verschiedenen Fächern viele Fakten und Daten zum Leben in der DDR und zur Wendezeit erfahren. Um diese Information mit Leben zu füllen und auch die emotionale Seite zu Wort kommen zu lassen, berichteten zwei Zeitzeugen mit sehr unterschiedlicher Vita aus ihrem Alltag in der DDR.

Für die Jahrgangsstufen 7 bis 11 erzählte Sigurt Dittrich von seiner Zeit als junger Soldat, als er seinen Wehrdienst an der Berliner Mauer ableisten musste. Diese 18 Monate stellte er den Schülern sehr eindringlich dar. Bei seiner Musterung als 16-Jähriger wurde er gefragt, ob er auch auf Menschen schießen würde und sein unüberlegtes „Ja“ führte dazu, dass er während seines Wehrdienstes als Grenzsoldat eingesetzt wurde. Heute ist er mehr als dankbar, dass es während seiner Dienstzeit zu keinem Fluchtversuch und somit auch zu keinem Schuss auf einen Menschen gekommen ist. Denn – laut seiner Aussage – ein Schießbefehl an der innerdeutschen Grenze existierte – trotz gegenteiliger Beteuerungen der DDR-Führung. Eine ganz andere Gefahr zeigte sich aus den eigenen Reihen. Am Tag seiner Einberufung schoss ein Grenzer seinem Kameraden in den Rücken, um selbst in den Westen fliehen zu können. Die Angst, dass ihm ein ähnliches Schicksal ereilen könnte, begleitete ihn über 18 Monate hinweg. Doch auch der Alltag als NVA-Angehöriger war nicht einfach. Diese Zeit war – so schilderte er seinen Zuhörern – geprägt von militärischem Drill und willkürlichen Schikanen: kaum Urlaub, obwohl er gerade junger Vater geworden ist, immer Rücken an Rücken mit dem zweiten Wachposten in achtstündigen Schichten auf den Grenztürmen. Hinzu kam, nie öffentlich die eigene Meinung sagen zu können, da man in der ständigen Gefahr von Stasi-Bespitzelung lebte. Es gab kaum Möglichkeiten, mit der Außenwelt Kontakt aufzunehmen, nur über Briefe. Seine Familie durfte nicht einmal genau wissen, wo er an der Berliner Mauer eingesetzt worden ist. Mit Hilfe von Fotografien (auch eigenen, die er niemals hätte machen dürfen) und Abbildungen zeigte er eindrücklich den Aufbau der Mauer und erklärte die Abläufe und Prinzipien im Zusammenhang mit der Sicherung des „Antifaschistischen Schutzwalls“. Der Zeitzeuge ging sehr offen und ausführlich auf die vielen Fragen der Schüler ein, die von der Grundsatzfrage, ob er geschossen hätte, bis hin zur Verpflegung und der Freizeitgestaltung während seines Wehrdienstes gingen.

Frau Jaqueline Kühne-Hellmessen aus Geilsheim, deren Sohn die sechste Jahrgangsstufe des A-E-G besucht, erzählte den Sechstklässlern von ihrer Kindheit in der DDR. Auf einem großen Tisch präsentierte sie viele Erinnerungsgegenstände aus dieser Zeit: Kinder- und Jugendbücher, Abzeichen, Auszeichnungen, Halstücher und andere FDJ-Artikel, Spielzeug, Fotos und Postkarten und vieles mehr. Die Schülerinnen und Schüler konnten nach dem Vortrag noch selbstständig die Utensilien anschauen und so durch authentische Zeitzeugnisse ihr Wissen vertiefen, zumal Frau Kühne Hellmessen sich auch viel Zeit nahm, um alle Fragen geduldig und ausführlich zu beantworten. Auch während des Berichts nutzen die Unterstufenschüler die Möglichkeit zu fragen sehr intensiv und stellten viele Fragen: vom Haustier in der DDR über Essgewohnheiten, Hobbys und den Schulalltag bis hin zu den Erfahrungen mit der Staatssicherheit. Die Zeitzeugin kommt aus einem kleinen, katholisch geprägten Dorf, und das Leben in der sehr ländlichen Umgebung bot Gelegenheit, sich in die Natur zurückzuziehen, eigene Phantasiewelten zu erschaffen und sich mit den geliebten Büchern zu beschäftigen. Die Familie selbst konzentrierte sich auf das eigene Häuschen, insofern war Politik kein großes Thema. Eine Flucht aus der DDR stand nicht zur Debatte. Zwänge und Einschränkungen erlebte sie vor allem, wenn es um die strengen Strukturen in den Jugendorganisationen bzw. in der Schule ging. So gab es regelmäßige Kontrollen, ob Fingernägel sauber waren oder, ob man ein sauberes Taschentuch dabei hatte. In diesem Zusammenhang erzählte sie in Anekdotenform von ihrer Schulzeit und zeichnete so ein differenziertes Bild der Bildungslandschaft in der DDR.

Abschließend zog die Zeitzeugin folgendes Fazit: Trotz der Einschränkungen des politischen Systems, wie seltene Urlaubsreisen nur innerhalb der DDR, verbrachte sie dort eine unbeschwerte Kindheit. Für sie bot die Wende allerdings die Möglichkeit, sich persönlich frei zu entfalten, vielfältige Lebensformen kennenzulernen und den eigenen Horizont zu erweitern – das empfindet sie als großes Glück.

Die beiden Zeitzeugenberichte ergänzten auf besondere, sehr eindringliche und nachhaltige Art und Weise den Unterricht und bereicherten das Projekt „30 Jahre Mauerfall“ am A-E-G.