Packende Lesung mit Robert Domes

Hochkarätige Autorenlesungen haben am Albrecht-Ernst-Gymnasium in Oettingen Tradition. Nachdem in diesem Schuljahr der bekannte Latinist Niklas Holzberg mit einer Lesung zu Ovid den Schuljahresanfang für die Oberstufe eröffnet hatte, trat zu Winterbeginn ein ganz anderer Autor vor die Schüler der 10. und 11. Jahrgangsstufe: Robert Domes las aus seinem 2008 erschienenen Buch „Nebel im August“, das mittlerweile bereits in der achten Auflage verkauft wird und dessen Verfilmung im Jahr 2016 zusätzlich ein großer Publikumserfolg war. Darin geht es um das düstere Thema scheinbarer Euthanasie und Erlösung, in Wirklichkeit aber um systematische Ermordung angeblich kranker Kinder in der Nazizeit im Auftrag fanatischer Rasselehren und unverantwortlicher medizinischer Experimente. Der bekannte Autor war bei winterlichen Wetterverhältnissen mit dem Auto aus seinem Wohnort im Allgäu nach Oettingen gereist und zog seine jungen Zuhörer sofort in den Bann, indem er sich zunächst sehr persönlich vorstellte. Domes war vor seiner Entscheidung für das Leben als Schriftsteller Journalist, zuletzt Leiter der Lokalredaktion Kaufbeuren für die Augsburger Allgemeine. Im Rahmen dieser Tätigkeit lernte er den langjährigen Chefarzt des Bezirksklinikums Kaufbeuren kennen, der ihn auf eine alte „Krankenakte“ von 25 Seiten aufmerksam machte. Nach eigenen Angaben ahnte Domes damals nicht, dass ihn das in dieser Akte dokumentierte grauenvolle Schicksal eines Jugendlichen namens Ernst Lossa fast fünf Jahre lang nicht mehr loslassen würde, bis er seinen Tatsachenroman zum Schicksal eines Jungen endlich fertigstellen konnte, der im Alter von vier Jahren ins Heim kommt. Der Kleine gehört zur Volksgruppe der als asoziale Zigeuner ohne festen Wohnsitz abgestempelten Jenischen, wird auf Anordnung der Behörden im Rahmen der barbarischen „Säuberungswellen“ der nationalsozialistischen Hitlerregierung den Eltern weggenommen und in ein „Erziehungsheim“ und schließlich in die „Heil- und Pflegeanstalt“ eingeliefert, euphemistische Begriffe für Stätten von Einschüchterung und Mord. Von Ernst selbst sind nur ein fünfzeiliger Brief und eine Photographie vom Tag seiner Einlieferung ins Bezirksklinikum Kaufbeuren überliefert -mit abrasierten Haaren und schief geknöpften Hemd. Seine Tage im Heim für Schwererziehbare sind dagegen gewissenhaft und kühl in den Akten dokumentiert und zeichnen ihn als asozialen Psychopathen mit diebischer Veranlagung, während die Berichte der von Domes befragten Zeitzeugen, z.B. seiner Schwestern und ehemaliger Mietbewohner im Heim, den Bub zwar als wenig an Regeln orientierten „Außenseiter und Lausebengel“, aber als sehr aufgeweckten und lebensfrohen Jungen charakterisieren. Domes hat sich dafür entschieden, das kurze Leben des Ernst Lossa auf Basis der dokumentierten historischen Fakten und Berichte nachzuerzählen, um sich die eigene Betroffenheit von diesem Fall von der Seele zu schreiben, sich der deutschen Geschichte zu stellen und einen „Kompass für den Anstand von heute“ zu finden, wie er es nennt. Die Schüler folgten der einstündigen Lesung voller Konzentration mit sichtlicher Betroffenheit und Erschütterung. Das Angebot des Schriftstellers, alle Fragen nach bestem Wissen zu beantworten, nahmen sie voller Interesse an, so dass sich ein sehr lebhaftes und intensives Gespräch ergab. Tiefes Mitleid mit den Opfern einer fanatischen Rassenideologie fand darin ebenso Ausdruck wie das Interesse für die Angehörigen des kleinen Ernst Lossa, seine Eltern und Geschwister. Domes berichtete, dass eine Schwester bis heute noch lebt. Mit ihr habe er immer noch Kontakt, verdanke ihr viele Informationen über ihren Bruder. Die kranke Mutter habe den Verlust des Sohns nicht lange überlebt, sei an einer Lungenkrankheit gestorben, während der Vater im KZ umgekommen sei. Viele Fragen galten auch dem Erfolg des Buches, das der Autor als sein bekanntestes Werk einstufte, dessen Verbreitung durch die Verfilmung des letzten Teils des Romans noch einmal einen Schub erhalten habe: Die 9.Auflage werde vorbereitet, außerdem sei eine Hörspielfassung in Vorbereitung, eine Dramenfassung sei ebenso wie die Übersetzung in fünf Sprachen bereits erfolgt. Ein Millionär sei er trotzdem nicht, meinte der sympathische Allgäuer, er sei zufrieden mit seinem Leben in einer Patchworkfamilie mit vielen Kindern, in der immer etwas los sei, er freue sich auch immer, wenn er merke, dass er mit den heutigen Jugendlichen ins Gespräch komme, weil diese sich für seine Themen interessierten. Am Ende der packenden Lesung signierte Robert Domes noch zahlreiche Bücher für überaus viele Schüler, die sich spontan dazu entschlossen, das Buch zu kaufen.